Jenny Schon: Veselý výlet - Ein lustiger Ausflug
Auf den Spuren Fontanes zu wandern, ist, seit dem Ereignis, das sich Wende nennt, eine liebe Lust geworden. Selda, eine Nachbarin, die die gleichen Interessen hat, wie sich herausstellte, schloß sich mir an. Über Fontane und Preußen war eine neue Freundschaft gewachsen.
Wir beschließen, Brandenburg zu besuchen -eine Stadt in einer Entfernung, die unseren bisherigen Horizont überschreitet, weil wir ohne Auto sind. Über die Region Potsdam, wohin man bequem mit der S-Bahn gelangt, sind wir gemeinsam noch nicht hinausgekommen.
In diesen späten Apriltagen ist der Frühling über die Ahnung hinausgetrieben, aber wegen der niedrigen Celsiusgrade noch nicht ganz da, obwohl die Birnbaumsilhouette weißblühend das Blau des Himmels sprengt und die Mandel- und Pfirsichbäumchen in ihrem zerbrechlichen Rosa den Mutterinstinkt in mir wecken. Doch leider benötige ich den Mantel, sie einzuhüllen -und das unterscheidet mich wohl von einer Mutter- selber, um mein Frösteln erträglich zu halten. Die Frühlingsfarben wirken kalt im kaiserblauen Himmel der Mark, die Schatten kontrastieren scharf. Kein Purpurtanz des Frühlings, der mich trunken macht. Kein Erlöschen der Sterne, weil die Blütenkristalle alles andere Glänzen ertränken.
Brandenburg ist eine mittelalterliche Stadt. Für hiesige Verhältnisse alt, backsteinfarben, mit Kopfsteinpflaster. Wir holpern durch die alten Gassen, riechen das Wasser der Havel, die im eigentlichen Sinne kein Fluß ist. Sie ergießt sich aus dem mecklenburgischen Dambecker See, nördlich von Berlin, wie ein gemächlich dahintrödelndes und sich ausuferndes Rinnsal aus einer Wanne; zieht über die Hauptstadt nach Süden. Von Potsdam fließt sie weiter in westlicher Richtung nach Brandenburg, und nach einem nordwärts geschwungenen Bogen vereinigt sie sich bei Havelberg mit der Elbe.
Mein Geburtsfluß Aupa speist auch die Elbe - in Böhmen. Ich spüre den Wind, der von der Schneekoppe in das Aupatal herunterstürzt und ziehe meinen Mantel enger. Die tausendjährige Linde vor dem alten Rathaus Brandenburgs, das damals Brennabor hieß, zittert in ihrem dünnen Kleidchen.
Die Linde - der heilige Baum der Slawen. Hier hat vielleicht Pribislaw, der letzte Hevellerfürst, seiner Liebsten ein Ständchen gebracht. War Pribislaw der Vorfahr meines tschechischen Urgroßvaters? Der eine ist untergegangen mit seinem Stamm in der Germanisierung, der zweite in den Namen der männlichen Deszendenz. Hier vor dem Rathaus umarme ich die Linde. Sag was, Großväterchen! Urgroßväterchen Václav ist verstummt.
Selda und ich haben lange Zeit im Dom zugebracht, der auf Trümmern der Hevellerfeste errichtet wurde. Immer wachsen auf zerstörten Heiligtümern die Symbole der neuen Zeit. Ein Nebeneinander läßt die Geschichte nicht zu!
Wir waren unterkühlt in den feuchten Gemäuern. Waren es mephitische Dünste, die die Wandmalerei beschlugen? Unter der Krypta die Gebeine der slawischen Aufständischen gegen die christlichen Eroberer ihres Brennabor? Spürte ich die Nähe meines Ahnherrn? Was will das lautlose Summen in meinen Adern?
Der Tag neigt sich in den weinroten Abendhimmel. Dieses Rot würde ich verwenden, sollte ich Tränen malen. Es zieht sich in die Furchen am Horizont. Der Zenit verliert sich im tiefen Blau des Universums.
Mir ist kalt. Ich ziehe Selda fort von hier. Habe Angst, ich könnte unseren Zug verpassen. Mir ist so, als läge Brandenburg auf einem anderen Kontinent. Selda erinnert daran, daß wir in der Nähe von Berlin sind und noch eine Stunde Zeit haben.
Ich aber bin unruhig. Der schöne Ort hat plötzlich eine Fratze. Aus dem bröckligen Gemäuer greifen Schlangen nach mir.
Selda bewundert derweil die hübschen Mauerblümchen, die sie an ihre Kindheit auf einem Schloß erinnern, wohin sie nach den Bombenangriffen evakuiert wurden. Ich sehe die eingefallene Mauer am Gehöft meiner Urgroßeltern am Fuße des Riesengebirges. Schweiß tritt auf meine Stirn, obwohl mir eiskalt ist. Ich renne voraus. Meine Freundin kommt gemächlich hinter mir her.
Ich stehe auf den Schienen der Straßenbahn, umgeben von tobenden Autos, deren Reifengeräusche auf den Pflastersteinen meine Ohren malträtieren.
Das ist Folter! schreie ich und stürze in den Waggon einer Straßenbahn.
Selda zerrt mich wieder heraus, weil es die falsche ist.
Meine Knie wabern. Mein Herz rast. Wir verpassen den Zug, Mutti, sage ich wortlos.
Die nächste Straßenbahn ist unsere. Noch eine Viertel Stunde bis zur Abfahrt des Zuges. Selda gackert. Sie hat im Havelstrandrestaurant zwei Gläschen Wein getrunken. Ich setze mich von ihr weg nach vorn. Ihr Hexenkreischen ist mir unerträglich.
Am Bahnhof. Noch fünf Minuten Zeit. Eine Baustelle behindert den Zugang.
Ich finde den Eingang nicht. Kopflos schlage ich mich an die brennende Brust, in der mein Herz wild gegen die Rippen schlägt. Alte Leute brechen sich die Rippen, wenn sie stark husten, hat mein Arzt gesagt, als ich über Schmerzen in der Herzgegend geklagt habe, und er nichts finden konnte. Ich fühle mich steinalt. Der Baustellenzugang zum Bahnsteig wird immer enger, die Bretter versperren die Sicht.
Mutti, komm! rufe ich.
Ich berühre einen fremden Mann, ob er mir den Zug nach Berlin nennen könne.
Er stößt mich zurück. Der stehe dort.
Der Mann ist hinter dir her, Mutti, schreie ich. Das dreijährige Kind stürzt die Treppe hinunter, dann wieder hinauf auf Bahnsteig zwei. Es schlägt gegen das Gepäck der dahinströmenden Menschen.
Seine Knie sind wie Gummibärchen, pappig, der Puls überstürzt sich. Wir schaffen es nicht! Mutti, liebe Mutti...
Die Schaffnerin befiehlt: Einsteigen! Ich reiße ihr die Kelle aus der Hand. Meine Mutter sei noch nicht da. Tränen stürzen auf mein Seidentuch. Der zweite Schaffner rennt die Treppe hinunter.
Eben sei sie noch dagewesen, brülle ich ihm hinterher.
Ich stehe auf dem Trittbrett. Meine Mutter müsse gestürzt sein, sie sei verfolgt worden. Die Schaffnerin schaut mich mitleidig an.
Ihr Kollege kommt außer Atem wieder die Treppe hoch.
Meine Mutter sei nirgends zu sehen. Er müsse jetzt das Abfahrtssignal geben. Wir haben schon zwei Minuten Verspätung.
Er schiebt mich in den Wagen, pfeift und schließt die Tür.
Der Zug setzt sich in Bewegung. Fassungslos presse ich meine Nase an die Fensterscheibe. Die Landschaft zieht vorbei. Zartes märkisches Grün, in den Pfützen auf den Feldern spiegeln sich rosa Wolken.
Erst als jemand die Hand auf meine Schulter legt, wende ich meinen Blick in den Gang. Es ist die Schaffnerin. Sie sieht in mein nasses Gesicht.
Meine Freundin stehe jetzt auf dem Bahnsteig und ich habe die Karten, sage ich zu ihr. Ich hätte doch von meiner Mutter gesprochen, welche Freundin ich denn meine. Die Schaffnerin ist irritiert. Ich gehe in ein Abteil. Ich habe Durst und esse einen Apfel.
Habe ich Mutti gerufen? Warum sollte ich Mutti gerufen haben? Verwirrt und von Schuldgefühlen zerfressen starre ich vor mich hin.
Zu Hause lege ich mich aufs Sofa. Schwere Gedanken stieben durch meinen Erschöpfungsschlaf. Ich bin in einem fremden Land. Ich höre fremde Stimmen, eine Sprache, die ich nicht verstehe. Geschrei. Ein fremder Mann greift nach meiner Mutter. Sie stürzt.
Mutti! stammele ich mit brechender Stimme. Von meinem Röcheln werde ich wach. Ich springe auf. Ich habe das Gefühl, als blute ich inwendig, aber ich spüre auch, daß das Blut meine Wunde wäscht. Woher stammt die Wunde, die heute aufgebrochen ist?
Ich greife das Telefon. Höre Seldas frische Stimme.
Was denn mit mir los gewesen sei. Das war doch gar nicht unser Zug. Wir hatten doch nur Fahrkarten für den Regionalzug, der vom ersten Bahnsteig abfährt. Ich sei in den Fernzug gestiegen. Hat der Schaffner keinen Zuschlag verlangt?
Der Schaffner sei fix und fertig gewesen, antworte ich, weil er meine Mutter gesucht habe.
Mutter? zischt Selda durchs Telefon.
Die frische Luft in Brandenburg sei mir nicht bekommen, das habe zu einem Schock geführt. Selda war mit einem Arzt verheiratet. Wer einen Schock habe, wolle fliehen, könne aber nicht.
Ich war aber auf der Flucht! entgegne ich.
Die Flucht sei ein lustiger Ausflug gewesen oder etwa nicht! Seldas Stimme ist wieder heiter.
Ich antworte ihr mit ungeübter Zunge. Ano, veselý výlet. In diesem Augenblick weiß ich, es ist die fremde Sprache, in der ich als Kind manchmal zu träumen pflegte, die ich jedoch nie gelernt habe und deren Sinn ich nicht verstand. Aber ich weiß, es ist die Sprache von Urgroßväterchen Václav und deshalb ist sie mir nicht mehr fremd.
Wir beschließen, Brandenburg zu besuchen -eine Stadt in einer Entfernung, die unseren bisherigen Horizont überschreitet, weil wir ohne Auto sind. Über die Region Potsdam, wohin man bequem mit der S-Bahn gelangt, sind wir gemeinsam noch nicht hinausgekommen.
In diesen späten Apriltagen ist der Frühling über die Ahnung hinausgetrieben, aber wegen der niedrigen Celsiusgrade noch nicht ganz da, obwohl die Birnbaumsilhouette weißblühend das Blau des Himmels sprengt und die Mandel- und Pfirsichbäumchen in ihrem zerbrechlichen Rosa den Mutterinstinkt in mir wecken. Doch leider benötige ich den Mantel, sie einzuhüllen -und das unterscheidet mich wohl von einer Mutter- selber, um mein Frösteln erträglich zu halten. Die Frühlingsfarben wirken kalt im kaiserblauen Himmel der Mark, die Schatten kontrastieren scharf. Kein Purpurtanz des Frühlings, der mich trunken macht. Kein Erlöschen der Sterne, weil die Blütenkristalle alles andere Glänzen ertränken.
Brandenburg ist eine mittelalterliche Stadt. Für hiesige Verhältnisse alt, backsteinfarben, mit Kopfsteinpflaster. Wir holpern durch die alten Gassen, riechen das Wasser der Havel, die im eigentlichen Sinne kein Fluß ist. Sie ergießt sich aus dem mecklenburgischen Dambecker See, nördlich von Berlin, wie ein gemächlich dahintrödelndes und sich ausuferndes Rinnsal aus einer Wanne; zieht über die Hauptstadt nach Süden. Von Potsdam fließt sie weiter in westlicher Richtung nach Brandenburg, und nach einem nordwärts geschwungenen Bogen vereinigt sie sich bei Havelberg mit der Elbe.
Mein Geburtsfluß Aupa speist auch die Elbe - in Böhmen. Ich spüre den Wind, der von der Schneekoppe in das Aupatal herunterstürzt und ziehe meinen Mantel enger. Die tausendjährige Linde vor dem alten Rathaus Brandenburgs, das damals Brennabor hieß, zittert in ihrem dünnen Kleidchen.
Die Linde - der heilige Baum der Slawen. Hier hat vielleicht Pribislaw, der letzte Hevellerfürst, seiner Liebsten ein Ständchen gebracht. War Pribislaw der Vorfahr meines tschechischen Urgroßvaters? Der eine ist untergegangen mit seinem Stamm in der Germanisierung, der zweite in den Namen der männlichen Deszendenz. Hier vor dem Rathaus umarme ich die Linde. Sag was, Großväterchen! Urgroßväterchen Václav ist verstummt.
Selda und ich haben lange Zeit im Dom zugebracht, der auf Trümmern der Hevellerfeste errichtet wurde. Immer wachsen auf zerstörten Heiligtümern die Symbole der neuen Zeit. Ein Nebeneinander läßt die Geschichte nicht zu!
Wir waren unterkühlt in den feuchten Gemäuern. Waren es mephitische Dünste, die die Wandmalerei beschlugen? Unter der Krypta die Gebeine der slawischen Aufständischen gegen die christlichen Eroberer ihres Brennabor? Spürte ich die Nähe meines Ahnherrn? Was will das lautlose Summen in meinen Adern?
Der Tag neigt sich in den weinroten Abendhimmel. Dieses Rot würde ich verwenden, sollte ich Tränen malen. Es zieht sich in die Furchen am Horizont. Der Zenit verliert sich im tiefen Blau des Universums.
Mir ist kalt. Ich ziehe Selda fort von hier. Habe Angst, ich könnte unseren Zug verpassen. Mir ist so, als läge Brandenburg auf einem anderen Kontinent. Selda erinnert daran, daß wir in der Nähe von Berlin sind und noch eine Stunde Zeit haben.
Ich aber bin unruhig. Der schöne Ort hat plötzlich eine Fratze. Aus dem bröckligen Gemäuer greifen Schlangen nach mir.
Selda bewundert derweil die hübschen Mauerblümchen, die sie an ihre Kindheit auf einem Schloß erinnern, wohin sie nach den Bombenangriffen evakuiert wurden. Ich sehe die eingefallene Mauer am Gehöft meiner Urgroßeltern am Fuße des Riesengebirges. Schweiß tritt auf meine Stirn, obwohl mir eiskalt ist. Ich renne voraus. Meine Freundin kommt gemächlich hinter mir her.
Ich stehe auf den Schienen der Straßenbahn, umgeben von tobenden Autos, deren Reifengeräusche auf den Pflastersteinen meine Ohren malträtieren.
Das ist Folter! schreie ich und stürze in den Waggon einer Straßenbahn.
Selda zerrt mich wieder heraus, weil es die falsche ist.
Meine Knie wabern. Mein Herz rast. Wir verpassen den Zug, Mutti, sage ich wortlos.
Die nächste Straßenbahn ist unsere. Noch eine Viertel Stunde bis zur Abfahrt des Zuges. Selda gackert. Sie hat im Havelstrandrestaurant zwei Gläschen Wein getrunken. Ich setze mich von ihr weg nach vorn. Ihr Hexenkreischen ist mir unerträglich.
Am Bahnhof. Noch fünf Minuten Zeit. Eine Baustelle behindert den Zugang.
Ich finde den Eingang nicht. Kopflos schlage ich mich an die brennende Brust, in der mein Herz wild gegen die Rippen schlägt. Alte Leute brechen sich die Rippen, wenn sie stark husten, hat mein Arzt gesagt, als ich über Schmerzen in der Herzgegend geklagt habe, und er nichts finden konnte. Ich fühle mich steinalt. Der Baustellenzugang zum Bahnsteig wird immer enger, die Bretter versperren die Sicht.
Mutti, komm! rufe ich.
Ich berühre einen fremden Mann, ob er mir den Zug nach Berlin nennen könne.
Er stößt mich zurück. Der stehe dort.
Der Mann ist hinter dir her, Mutti, schreie ich. Das dreijährige Kind stürzt die Treppe hinunter, dann wieder hinauf auf Bahnsteig zwei. Es schlägt gegen das Gepäck der dahinströmenden Menschen.
Seine Knie sind wie Gummibärchen, pappig, der Puls überstürzt sich. Wir schaffen es nicht! Mutti, liebe Mutti...
Die Schaffnerin befiehlt: Einsteigen! Ich reiße ihr die Kelle aus der Hand. Meine Mutter sei noch nicht da. Tränen stürzen auf mein Seidentuch. Der zweite Schaffner rennt die Treppe hinunter.
Eben sei sie noch dagewesen, brülle ich ihm hinterher.
Ich stehe auf dem Trittbrett. Meine Mutter müsse gestürzt sein, sie sei verfolgt worden. Die Schaffnerin schaut mich mitleidig an.
Ihr Kollege kommt außer Atem wieder die Treppe hoch.
Meine Mutter sei nirgends zu sehen. Er müsse jetzt das Abfahrtssignal geben. Wir haben schon zwei Minuten Verspätung.
Er schiebt mich in den Wagen, pfeift und schließt die Tür.
Der Zug setzt sich in Bewegung. Fassungslos presse ich meine Nase an die Fensterscheibe. Die Landschaft zieht vorbei. Zartes märkisches Grün, in den Pfützen auf den Feldern spiegeln sich rosa Wolken.
Erst als jemand die Hand auf meine Schulter legt, wende ich meinen Blick in den Gang. Es ist die Schaffnerin. Sie sieht in mein nasses Gesicht.
Meine Freundin stehe jetzt auf dem Bahnsteig und ich habe die Karten, sage ich zu ihr. Ich hätte doch von meiner Mutter gesprochen, welche Freundin ich denn meine. Die Schaffnerin ist irritiert. Ich gehe in ein Abteil. Ich habe Durst und esse einen Apfel.
Habe ich Mutti gerufen? Warum sollte ich Mutti gerufen haben? Verwirrt und von Schuldgefühlen zerfressen starre ich vor mich hin.
Zu Hause lege ich mich aufs Sofa. Schwere Gedanken stieben durch meinen Erschöpfungsschlaf. Ich bin in einem fremden Land. Ich höre fremde Stimmen, eine Sprache, die ich nicht verstehe. Geschrei. Ein fremder Mann greift nach meiner Mutter. Sie stürzt.
Mutti! stammele ich mit brechender Stimme. Von meinem Röcheln werde ich wach. Ich springe auf. Ich habe das Gefühl, als blute ich inwendig, aber ich spüre auch, daß das Blut meine Wunde wäscht. Woher stammt die Wunde, die heute aufgebrochen ist?
Ich greife das Telefon. Höre Seldas frische Stimme.
Was denn mit mir los gewesen sei. Das war doch gar nicht unser Zug. Wir hatten doch nur Fahrkarten für den Regionalzug, der vom ersten Bahnsteig abfährt. Ich sei in den Fernzug gestiegen. Hat der Schaffner keinen Zuschlag verlangt?
Der Schaffner sei fix und fertig gewesen, antworte ich, weil er meine Mutter gesucht habe.
Mutter? zischt Selda durchs Telefon.
Die frische Luft in Brandenburg sei mir nicht bekommen, das habe zu einem Schock geführt. Selda war mit einem Arzt verheiratet. Wer einen Schock habe, wolle fliehen, könne aber nicht.
Ich war aber auf der Flucht! entgegne ich.
Die Flucht sei ein lustiger Ausflug gewesen oder etwa nicht! Seldas Stimme ist wieder heiter.
Ich antworte ihr mit ungeübter Zunge. Ano, veselý výlet. In diesem Augenblick weiß ich, es ist die fremde Sprache, in der ich als Kind manchmal zu träumen pflegte, die ich jedoch nie gelernt habe und deren Sinn ich nicht verstand. Aber ich weiß, es ist die Sprache von Urgroßväterchen Václav und deshalb ist sie mir nicht mehr fremd.
schoenfeldt - 11. Dez, 18:03