Dezember 2012

Sonntag, 13. Januar 2013

Dezember 2012

Die Lesebühne im Dezember fand diesmal am 3. Advent im Buchhändlerkeller statt. Sabine Schönfeldt war zum letzten Mal Co-Moderatorin und übergab das Format am Ende der nachrückenden Generation von Literaturenthusiasten; ab Januar müssen Clemens Kübler und Philip Schimpf Carmer 1 dann ohne ihre und Signe Ibbekens wunderbare Unterstützung moderieren.
Viel wichtiger als die Moderatoren sind jedoch die Autoren und hier machte Elisabetta Abbondanza den Anfang, die dem regen Publikum das Gedicht Rein präsentierte. Das Gedicht, das im Original auf italienisch geschrieben ist, rief eine Diskussion über die Regeln der Lyrik nach Paul Celan hervor, die in der Frage gipfelte, ob moderne Lyrik Wie-Vergleiche in sich tragen dürfe. Während kritische Stimmen das Gedicht als zu einfach und unmetaphorisch werteten, befanden Gegenstimmen grade die geschaffenen Oppositionen mit Hilfe der brüchigen Vergleiche als gelungen. Die Autorin befand selbst, dass ihre Lyrik in italienischer Sprache verspielter sei, während das Deutsche ihren Gedichten mehr Härte und Genauigkeit verpasse.
Der zweite Text von Uta von Arnim namens Brustbild kehrte die Machtverhältnisse zwischen einem Arzt und einer Patientin um, was mit phallischen Symbolen und sexuellen Phantasien untermalt wurde. Während einige Stimmen die Geschichte als schön beschriebene Möglichkeit der Subversion sahen, bemängelten manche, der Text müsse Teil eines größeren Ganzen werden, da die Entwicklung der Protagonisten sonst in Klischees versinke. Positive Stimmen sahen in diesen Klischees die Qualität des Textes, worauf allerdings geantwortet wurde, dass dem Text die Subtilität fehle.
Im Anschluss las Wolfgang Hille drei Geschichten vor, über deren Zusammenhang im Anschluss zu diskutieren vergessen wurde. Der hauptsächlich besprochene erste Text führte einen Ich-Erzähler von einem Café am Südstern durch Berlin, wobei er die auftretenden Personen der Reihe nach in all ihrer Unzulänglichkeit behandelte. Es entwickelte sich im Anschluss eine leidenschaftliche Diskussion zwischen dem Autor und Gunter Fezer über Verachtung in der Literatur und das Motiv des Käferaufspießens. Die kritische Stimme bemängelte die fehlende Empathie für die Protagonisten, beispielsweise ein Alkoholopfer, und die Aneinanderreihung gestrandeter Persönlichkeiten, der Autor wehrte sich jedoch mit der Ansicht, seine Personen seien realen Menschen nachempfunden, die in eben jener Weise reagiert hätten, was seine Literatur realistischer als jede Empathie-Literatur mache.
Nach der Pause las Alexandra Schmidt aus ihrer Autobiographie Lebenswandel vor, die uns ins Berlin der Nachkriegsjahre entführte. Vorab erklärte die Autorin, ihre Autobiographie stände unter der Prämisse, dass Kindheit nicht eines jeden Schicksal sei. Das Publikum bemerkte nach Ende der Lesung positiv, dass die Autorin es schaffe, das Wechselspiel zwischen reflektierendem Ich und Unmittelbarkeit der Gedanken des jungen Kindes aufrechtzuerhalten. Außerdem stellte die Autorin gemeinsam mit dem Publikum fest, dass eine Autobiographie keinem katalogisierten Dramaturgie-Bogen entspräche, da das Leben eben so spielt, wie es spielt.
Als fünfter Autor las Stefan Schwarz aus seiner Archetypenlyrik vor. Als Antwort auf die vorhergehende Autorin sagte er zu Beginn, er glaube, Kind sein mache Angst und das präge auch das ganze Leben. Seine hermetisch-lyrischen, sprachlichen Versatzstücke ließen resignierte Stimmen aus dem Publikum resümieren, man könne sich darauf einigen, Stefan Schwarz nicht zu verstehen. Damit wollten sich andere Teile des Publikums aber nicht begnügen und erkannten die starke Schwarzsche Realität, die besondere Akustik und das vom Autor hervorgerufene Rauschen seiner mäandrierenden, modulativen Versatzstücke, die in seinen Texten aufeinanderprallen. Sabine Schönfeldt bemerkte gar, das erste Mal habe sie einen von Schwarz‘ Texten verstanden bzw. einen Zugang dazu gefunden.
Den Abschluss machte der titellose Text von Annett Stenzel, der im Gegensatz zum hermetischen Stil des Vor-Lesers eine offene Zugangsweise ermöglichte. Das Publikum erkannte, dass es eigentlich zwei Texte seien, wobei der erste Text verdichteter sei, der zweite Text mehr mäandrierte, was ihm aber keineswegs die Existenzberechtigung entzöge. Zum Schluss bemerkte Sabine Schönfeldt, Annett Stenzel und Stefan Schwarz müssten heiraten und gemeinsam Texte schreiben, die einander ergänzen würden. Tatsächlich sah man die beiden nach der Lesebühne Texte austauschen.
Am 27.01.2013 meldet sich Carmer 1 aus dem Buchhändlerkeller zurück, dann mit endgültig neuer Moderation und hoffentlich genauso schönen Texten und anregenden Diskussionen. Wir hoffen auf rege Beteiligung.

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