Carmer Eins am 30.06.2013
Die Lesebühne stand im Juni ganz im Zeichen der Lyriker. Vor durch das Sommerloch dezimiertem Publikum fanden sich diesmal drei Lesewillige: Philipp Topphoven, Stefan Schwarz und Clemens Kübler, der für die Zeit des Vortrags die Rolle des Co-Moderators abgab. Die verminderte Anzahl an Autoren ermöglichte es dem Publikum, präziser und ausführlich als sonst über die Texte zu beraten. Fast immer stand in dieser Ausgabe von Carmer Eins am Ende ein guter Ratschlag für den Autor.
Den Anfang bereitete Philipp Topphoven, der eine kurze Einleitung zu seinen Gedichten gab. Sie alle seien übersetzt aus dem Französischen und geprägt von den Erfahrungen in fremden Städten; beim ersten Gedicht gab er dem Publikum sogar die Aufgabe, die Stadt zu erraten. Schnell kam man mit vereinten Kräften auf die richtige Lösung: Los Angeles. Das zweite Gedicht handelt von einer Begebenheit mit Menschen in China, während das dritte Gedicht die Religion des Buddhismus zur Grundlage einer Abhandlung über das Töten kleiner Tiere (Käfer) umfunktioniert. Alle drei Gedichte wurden ohne Unterbrechung des Publikums gelesen und gemeinsam besprochen, wobei das dritte Gedicht die positivsten Reaktionen erhielt. Die Idee, eine fremde Religion zur philosophischen Basis eines Gedichts zu erheben, überzeugte die Zuhörenden in der Konzeption. Die beiden vorangehenden Gedichte warfen allerdings einige Fragen auf, die schon bei der Produktion des Gedichtes begannen: Warum übersetzt ein Dichter sein eigenes, in fremder Sprache geschriebenes Gedicht? Warum zwingt er sich in der Übersetzung in das enge Korsett des Reimes, anstatt auf ihn zu verzichten? Warum unterliegen die Gedichte des Autors überhaupt einem Reimzwang? Unterstützt diese Form in den Gedichten den Inhalt? Nicht alle Fragen konnten letztlich geklärt werden, als Zusammenfassung der Diskussion nur soviel: Der Autor argumentierte, seine Gedichte klassisch in Vers und Reim zu schreiben, da nur durch eine solche Ästhetisierung der Sprache die Möglichkeit bestünde, ihre tiefsten Geheimnisse zu ergründen. Übersetzen würde er die Gedichte nur aus einem sehr pragmatischen Grund, nämlich zum besseren Verständnis beim deutschen Publikum. Diese Aussagen sorgten für gemischte Reaktionen beim Publikum, das den Sinn einer solchen Übersetzung noch immer nicht recht begriff und argumentierte, man solle doch dann einfach ein neues Gedicht in deutscher Sprache schreiben, da bei der Übersetzung aus der Originalsprache meist viel zu viel an Form und Inhalt verloren gehe. Die Art der Reime erinnerte einen Teil des Publikums am Ende der Diskussion noch an Heinz Erhardt; ob das bei Inhalt und Funktion der Gedichte allerdings eine positive Kritik war, blieb dahingestellt.
Der den Moderatoren und einem kleinen Teil des Publikums bekannte Stefan Schwarz las hiernach einen titellosen Text, der das Publikum erneut tief spaltete. Zunächst diskutierten Moderatoren und Publikum über den Inhalt des Textes, bis klar wurde, dass eine solche Kategorie dem Text nicht gerecht werden kann. Viel eher, so argumentierten die Moderatoren, handele es sich um eine typische Form von selbstreferentieller Meta-Literatur, um einen nicht narrativ funktionierenden Teppich aus Wörtern, der sprachliche Versatzstücke miteinander kombiniert und damit einen Nebel von Sprache erzeugt. Diese Sprache funktioniere für jeden Rezipienten anders, was durch fehlende Satzzeichen verstärkt wurde; hierdurch entstehen im Text bei genauerem Hinsehen viele grammatikalische und dadurch letztlich semantische Unklarheiten sowie Ambiguitäten, die bei verschiedenen Lesarten unterschiedliche Bedeutung generieren. Doch auch wenn der Text nicht wie ein linear verlaufender Prosatext funktioniert, so beinhalte er doch eine Fabel, argumentierten die Moderatoren weiter, die es zu analysieren gelte. Die Handlung auf einem Schiff könnte allerdings auch dergestalt gedeutet werden, dass hier selbstreferentiell auf die Situation des Rezipienten hingewiesen wird, der wie ein Schiff durch ein Meer von Wörtern fährt. Das Publikum blieb auch nach den affirmativen Reaktionen der Moderatoren gespalten und fragte sich, ob denn der Autor überhaupt noch den Wunsch verspüre, verstanden zu werden. Viele Zuhörende konnten dem Text nach einiger Zeit nicht mehr folgen, was, so die einstimmige Kritik aus dem Publikum, auch am monotonen Vortragsstil des Autoren gelegen habe. Diesen solle er doch bitte zum nächsten Mal etwas verbessern. Auch hier widersprachen erneut die Moderatoren, die die monotone Sprach als Versuch des Autoren deuteten, niemandes Verständnis des Textes durch sprachliches Betonen zu figurieren. Hierdurch, so das Abschlusswort des Autoren, entstehe die von ihm gewollte Frequenz eines Wortflusses, die jegliche Interpretation offen lasse.
Nach der Pause, in der weiter spannungsreich diskutiert wurde, warf Clemens Kübler den Umhang des Moderatoren ab und las zwei seiner Gedichte vor. Das erste Gedicht mit dem Titel „Jahrhundertwende“ funktioniert als Sprachspiel, das das journalistisch abgegriffene Wort „Jahrhundertwende“ mit allerlei sprachgewandten Worteinfällen wie etwa „Ja, hundert Wände“ oder „Ja, Hunde wendet...“ abklopft. Das Publikum reagierte auf diesen Versuch sehr positiv, allerdings könnten die Worteinfälle noch brillanter sein, so eine kritische Stimme. Bilder wie „kaltgepresste Blitze“ seien außerdem eher schlechte Bildbrüche, denn gelungene Metaphern. Im Kern wurde das sehr politisch Gedicht, das mit einem Vergleich zwischen 1914 und 2014 endet, dennoch sehr gelobt.
Das zweite Gedicht „Das Fenster“ wurde ohne Kopien für das Publikum gelesen, weshalb im Anschluss erläutert werden muss, dass es sich zum Teil um ein Figurengedicht handelt, in dem die ständige Wiederholung des Wortes „Mauer“ eine Art Mauer um den Mittelteil des Gedichtes bildet, in dem das lyrische Ich versucht, eben jene Mauern zu sprengen. Selten für die Lesebühne und gerade deshalb umso schöner war die Reaktion des Publikums; man schwieg. Ob der Autor dieses Schweigen als positives Erstaunen oder negative Sprachlosigkeit versteht, bleibt ihm überlassen. Allerdings sagte eine Dame aus dem Publikum am Ende, ein solch schönes Gedicht wolle man nicht kaputt reden und es einfach mit einem Applaus belassen. Und mit diesem endete die Juni-Ausgabe von Carmer Eins dann auch.
Den Anfang bereitete Philipp Topphoven, der eine kurze Einleitung zu seinen Gedichten gab. Sie alle seien übersetzt aus dem Französischen und geprägt von den Erfahrungen in fremden Städten; beim ersten Gedicht gab er dem Publikum sogar die Aufgabe, die Stadt zu erraten. Schnell kam man mit vereinten Kräften auf die richtige Lösung: Los Angeles. Das zweite Gedicht handelt von einer Begebenheit mit Menschen in China, während das dritte Gedicht die Religion des Buddhismus zur Grundlage einer Abhandlung über das Töten kleiner Tiere (Käfer) umfunktioniert. Alle drei Gedichte wurden ohne Unterbrechung des Publikums gelesen und gemeinsam besprochen, wobei das dritte Gedicht die positivsten Reaktionen erhielt. Die Idee, eine fremde Religion zur philosophischen Basis eines Gedichts zu erheben, überzeugte die Zuhörenden in der Konzeption. Die beiden vorangehenden Gedichte warfen allerdings einige Fragen auf, die schon bei der Produktion des Gedichtes begannen: Warum übersetzt ein Dichter sein eigenes, in fremder Sprache geschriebenes Gedicht? Warum zwingt er sich in der Übersetzung in das enge Korsett des Reimes, anstatt auf ihn zu verzichten? Warum unterliegen die Gedichte des Autors überhaupt einem Reimzwang? Unterstützt diese Form in den Gedichten den Inhalt? Nicht alle Fragen konnten letztlich geklärt werden, als Zusammenfassung der Diskussion nur soviel: Der Autor argumentierte, seine Gedichte klassisch in Vers und Reim zu schreiben, da nur durch eine solche Ästhetisierung der Sprache die Möglichkeit bestünde, ihre tiefsten Geheimnisse zu ergründen. Übersetzen würde er die Gedichte nur aus einem sehr pragmatischen Grund, nämlich zum besseren Verständnis beim deutschen Publikum. Diese Aussagen sorgten für gemischte Reaktionen beim Publikum, das den Sinn einer solchen Übersetzung noch immer nicht recht begriff und argumentierte, man solle doch dann einfach ein neues Gedicht in deutscher Sprache schreiben, da bei der Übersetzung aus der Originalsprache meist viel zu viel an Form und Inhalt verloren gehe. Die Art der Reime erinnerte einen Teil des Publikums am Ende der Diskussion noch an Heinz Erhardt; ob das bei Inhalt und Funktion der Gedichte allerdings eine positive Kritik war, blieb dahingestellt.
Der den Moderatoren und einem kleinen Teil des Publikums bekannte Stefan Schwarz las hiernach einen titellosen Text, der das Publikum erneut tief spaltete. Zunächst diskutierten Moderatoren und Publikum über den Inhalt des Textes, bis klar wurde, dass eine solche Kategorie dem Text nicht gerecht werden kann. Viel eher, so argumentierten die Moderatoren, handele es sich um eine typische Form von selbstreferentieller Meta-Literatur, um einen nicht narrativ funktionierenden Teppich aus Wörtern, der sprachliche Versatzstücke miteinander kombiniert und damit einen Nebel von Sprache erzeugt. Diese Sprache funktioniere für jeden Rezipienten anders, was durch fehlende Satzzeichen verstärkt wurde; hierdurch entstehen im Text bei genauerem Hinsehen viele grammatikalische und dadurch letztlich semantische Unklarheiten sowie Ambiguitäten, die bei verschiedenen Lesarten unterschiedliche Bedeutung generieren. Doch auch wenn der Text nicht wie ein linear verlaufender Prosatext funktioniert, so beinhalte er doch eine Fabel, argumentierten die Moderatoren weiter, die es zu analysieren gelte. Die Handlung auf einem Schiff könnte allerdings auch dergestalt gedeutet werden, dass hier selbstreferentiell auf die Situation des Rezipienten hingewiesen wird, der wie ein Schiff durch ein Meer von Wörtern fährt. Das Publikum blieb auch nach den affirmativen Reaktionen der Moderatoren gespalten und fragte sich, ob denn der Autor überhaupt noch den Wunsch verspüre, verstanden zu werden. Viele Zuhörende konnten dem Text nach einiger Zeit nicht mehr folgen, was, so die einstimmige Kritik aus dem Publikum, auch am monotonen Vortragsstil des Autoren gelegen habe. Diesen solle er doch bitte zum nächsten Mal etwas verbessern. Auch hier widersprachen erneut die Moderatoren, die die monotone Sprach als Versuch des Autoren deuteten, niemandes Verständnis des Textes durch sprachliches Betonen zu figurieren. Hierdurch, so das Abschlusswort des Autoren, entstehe die von ihm gewollte Frequenz eines Wortflusses, die jegliche Interpretation offen lasse.
Nach der Pause, in der weiter spannungsreich diskutiert wurde, warf Clemens Kübler den Umhang des Moderatoren ab und las zwei seiner Gedichte vor. Das erste Gedicht mit dem Titel „Jahrhundertwende“ funktioniert als Sprachspiel, das das journalistisch abgegriffene Wort „Jahrhundertwende“ mit allerlei sprachgewandten Worteinfällen wie etwa „Ja, hundert Wände“ oder „Ja, Hunde wendet...“ abklopft. Das Publikum reagierte auf diesen Versuch sehr positiv, allerdings könnten die Worteinfälle noch brillanter sein, so eine kritische Stimme. Bilder wie „kaltgepresste Blitze“ seien außerdem eher schlechte Bildbrüche, denn gelungene Metaphern. Im Kern wurde das sehr politisch Gedicht, das mit einem Vergleich zwischen 1914 und 2014 endet, dennoch sehr gelobt.
Das zweite Gedicht „Das Fenster“ wurde ohne Kopien für das Publikum gelesen, weshalb im Anschluss erläutert werden muss, dass es sich zum Teil um ein Figurengedicht handelt, in dem die ständige Wiederholung des Wortes „Mauer“ eine Art Mauer um den Mittelteil des Gedichtes bildet, in dem das lyrische Ich versucht, eben jene Mauern zu sprengen. Selten für die Lesebühne und gerade deshalb umso schöner war die Reaktion des Publikums; man schwieg. Ob der Autor dieses Schweigen als positives Erstaunen oder negative Sprachlosigkeit versteht, bleibt ihm überlassen. Allerdings sagte eine Dame aus dem Publikum am Ende, ein solch schönes Gedicht wolle man nicht kaputt reden und es einfach mit einem Applaus belassen. Und mit diesem endete die Juni-Ausgabe von Carmer Eins dann auch.
schimpf - 13. Jul, 13:18