Donnerstag, 31. Januar 2013

Carmer Eins am 27.01.2013

Mit vier sehr unterschiedlichen und interessanten AutorInnen ist Carmer Eins am 27. Januar ins Jahr 2013 gestartet. Das Publikum zeigte sich im Gegensatz zu den letzten Lesebühnen stark verjüngt, das schadete der Qualität der an die Lesungen anschließenden Diskussionen aber keineswegs.
Die Lesebühne begann mit der Autorin Ina Krause, die zwei kürzere Prosa-Texte präsentierte. Der erste Text behandelte einen älteren Herren, dem eine Instanz gebietet, ständig die neusten Produkte der Technik zu kaufen. Der nicht mehr aus dem Kaufrausch zu befreiende wird schließlich in einer phantastisch, bzw. Science-Fiction anmutenden Situation von einem Gerät verschlungen. Der Text wurde im Publikum unterschiedlich aufgefasst. Während einige das gesellschaftskritische Potential und die sprachlich schöne Gestaltung sahen, kritisierten manche die Banalität der Handlung. Die Autorin erklärte, sie habe die Geschichte einer realen Person nachempfunden, eine gesellschaftskritische Haltung verneinte sie. Dennoch wurde grade hierin die Qualität des Textes festgestellt, der durch einen plötzlichen Bruch zwischen einer gewöhnlich anmutenden Geschichte und einer surrealistischen Passage Platz für kritische Gedanken schaffe. Der zweite Text Ina Krauses war eine Aufzeichnung aus einem irren Hause, ein von persönlichen Erlebnissen gekennzeichneter Rundblick durch eine psychiatrische Klinik. Der Text wurde vom Publikum weniger wohlwollend als der erste aufgenommen, da er literarische Qualität vermissen lasse und eher ein dokumentarischer Bericht respektive eine persönliche Erinnerung sei. Allerdings wurde der Autorin auch hier ein präziser Blick auf innere menschliche Vorgänge attestiert.
Als radikalen Kontrast zur ersten Autorin las Stefan Schwarz hiernach einmal mehr aus seiner der Lesebühne bekannten und geschätzten Lyrik vor. Im Gegensatz zum älteren Publikum der letzten Monate nahm das jüngere Publikum die Lyrik Stefan Schwarz‘ gänzlich anders auf. Besonders wurde eine im Gedicht entstandene Matrix gelobt, die sowohl die Syntax als auch die Semantik der sprachlichen Versatzstücke teilweise auflöste und dennoch Raum für vielerlei persönliche Deutungsansätze schuf. Zwar verliehen einige Zuschauer ihrer Ansicht Nachdruck, diese technisierte Form von Lyrik lasse sie kalt bzw. berühre sie nicht, doch die andere Hälfte des Raumes bekräftigte die Meinung, in dieser Technisierung liege etwas Beunruhigendes, möglicherweise etwas Zeitgemäßes, das mit der daraus entstandenen Diskussion seinen Zweck bereits voll und ganz erfüllt habe.
Nach der an die leidenschaftliche Diskussion anschließende und somit wohl verdienten Pause las David Giorgobiani ein Gedicht aus einem Theaterstück vor. Das kurze Gedicht, das die Begegnung des lyrischen Ich mit einer Tänzerin beschreibt, wurde vom Publikum für seine lyrischen Momente gelobt. Wie in den letzten Sitzungen entwickelte sich darauf aber eine Diskussion zwischen zwei Fraktionen. Die eine sagte, Reime in Gedichten seien heutzutage erst erlaubt, wenn sich der Autor mühsam durch das Reimlose gearbeitet habe, um den Sinn des Reimes zu verstehen und ihn an den wahrlich notwendigen Stellen einzusetzen. Die andere Fraktion sah eben diese Notwendigkeit des Reims in diesem Gedicht, da der Reim dem spielerischen, in sich verschlungenen Moment des Tanzens auf besonders lyrische Art Ausdruck verleihe. Ein Konsens konnte letztlich nicht geschaffen werden, die Diskussion sollte aber nach dem vierten Beitrag noch einmal aufleben.
Dieser kam vom Co-Moderator der Bühne selber, der für seinen Vortrag wieder als gänzlich unbekannter Clemens Kübler angesehen wurde. Das erste Gedicht „rachentraum“ beschrieb in sehr suggestiver Diktion den Weg zweier Krümel Brot, die im Mund zermahlen werden und in die Speiseröhre abrutschen. Dabei sorgte eine ausgeprägte Metaphorik dafür, dass dieser Gang von den Hörenden ständig in Bezug zu zwei Menschen, die eine Episode ihres Lebens, wenn nicht sogar ihr ganzes Leben, zusammen verbringen, gesetzt wurde. Während die stark zur Geltung kommende sprachliche Ausdruckskraft des Autors gelobt wurde, wurde von vielen die manchmal nicht eindeutige Metaphorik des Textes getadelt, die den Leser im Dunkeln stehen lasse und den Fluss des Gedichtes verhindere. Das zweite und somit abschließende Gedicht des Abends „guerillyrik“ war eine Aufforderung zur Suche nach neuen Formen innerhalb der Lyrik. Dem jüngeren Teil des Publikums gefiel die subversive Kraft des Gedichts, der ältere Teil empfand das Gedicht als sehr alt. Schon vor fünfzig Jahren hätten Enzensberger oder Walser ganz Ähnliches gedichtet, neu sei an diesem Gedicht somit gar nichts.
Nach vielen Texten und Diskussionen ging damit die erste Lesebühne des Jahres 2013 zu Ende, die Moderatoren freuen sich am 24.02.2013 wieder auf viele neue Gesichter im Publikum und bei den AutorInnen.

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